Vier Tage ohne Internet

Vier Tage ohne Internet

13.-17. März 2025, Torres del Paine

10 US-Dollar kostet eine Stunde, 75 eine Woche Internet im Nationalpark Torres del Paine. Das kostenpflichtige WLAN ist auf wenige Campsites und Ranger-Stationen beschränkt — und trotzdem begehrt, weil die Handys nirgendwo Mobilfunk empfangen. Die beiden Israelis, die wir seit Feuerland immer wieder auf unserer Reise treffen, haben angebissen. Sie sitzen im Aufenthaltsraum vom Campingplatz einen Tisch weiter, angestöpselt an eine Steckdose, starrer Blick aufs Smartphone, Fotogrüße nach Hause per WhatsApp.

Uns ist es das nicht wert, und so schenken wir uns vier Tage ohne Internet. Erinnern kann ich mich nicht, wann ich zum letzten Mal so lange offline war.

Das mobile Internet ist eSIM sei dank inzwischen mit ein paar Klicks fast überall zu haben. Das ist praktisch und verändert das Reisen. Wie stark, das merkt man erst, wenn es fehlt. Das Handy übersetzt nicht, es erkennt keine Pflanzen, es storniert das spontan reservierte Hostel nicht mehr rechtzeitig. Warum heißt der Grey-Gletscher „Grey“? Regnet es morgen? Wann kommt der nächste Bus? Keine Verbindung, keine Ahnung.

Auch sonst ruckelt das Leben nach ein paar Tagen ohne Netz. Streaks in Sprachlern- und Ernährungs-Apps brechen ab, die Smartwatch rechnet nicht mehr aus, wie viel Stress ich heute hatte. Wenn ich jetzt meinen Geldbeutel verliere, hilft auch der darin versteckte Tracker nicht weiter. Vier Tage ohne Süßigkeiten, ohne Alkohol, ohne Fernsehen, ohne Kaffee. Alles kein Problem. Aber ohne Internet?

Ich möchte es nicht mehr missen, unterwegs per Handy die nächste Unterkunft zu reservieren, vorher die aktuellen Online-Rezensionen durchzuschauen. Und während ich den Bus dorthin buche, schickt mir das Hostel per WhatsApp die PIN fürs Türschloss. Das ist großartig und erspart viel Ärger. Aber dabei ist auch etwas verloren gegangen. Abends in einem fremden Dorf ankommen, ohne zu wissen, wo man schlafen soll, Dann beim Fragen nach dem nächsten Zeltplatz spontan eingeladen werden, auf einem Bauernhof zu übernachten und mit den Leuten abendzuessen. Falsch abbiegen und etwas entdecken, das in keinem Lonely Planet steht. Sich statt per App mit den Händen verständigen und sich dabei näher zu kommen.

Gegenüber von uns am Tisch sitzt Beata aus Kanada vor ihrer Papierkarte des Torres del Paine. Sie übernachtet zehn Tage im Nationalpark und genießt die lange Zeit ohne Internet. Kein Druck etwas zu posten, keine Versuchung, etwas aus der Welt zu erfahren. Kein Kontakt, keine News, kein Trump.

Früher war das Teil des Urlaubs. An der Adria oder auf Mallorca konnte man vielleicht noch am Kiosk in der Bild von vorgestern nachschauen, ob Schumi gewonnen hat und ob es zu Hause (hoffentlich) die ganze Zeit regnet. Ansonsten bekam man einfach nichts mit. Günter Grass starb für mich erst im TV-Jahresrückblick, weil ich die Nachricht beim Wandern im Frühjahr verpasst hatte. Heute kaufe ich mir ein Datenpaket Ländergruppe 3 und empfange die Welt im Livestream – ein paar Zehntelsekunden Verzögerung auf 13.000 Kilometer Entfernung.

Am internetfreien Tisch kommen wir ins Gespräch mit Beata. Wir beugen die Köpfe über die Karte und tauschen unsere Reiseerfahrungen aus. Was muss man hier gesehen haben, was kann man auslassen? Welche Wege sind im Nationalpark die schönsten, welche in Peru und Bolivien? Und wie lebt es sich eigentlich in Norddeutschland und in der Mitte Kanadas? Wir teilen unsere Erfahrungen, Tipps und Lifehacks als kleine Geheimnisse zu dritt statt mit allen auf Instagram. Ein besonders schöner, aber nicht so bekannter Ort zum Skifahren in Kanada. Die Stelle auf dem Zeltplatz, die am besten vorm Wind schützt. Einen Wasserkocher statt einen Gaskocher dabeizuhaben, weil die Campsites im Park Steckdosen haben. Solche Dinge.

Es ist auch mal herrlich schön, nicht schon jedes Detail darüber zu wissen, was einen am anderen Ende des Wegs erwartet. So richtig zu staunen, wenn man zum ersten Mal den Grey Gletscher sieht (der Name kommt wohl tatsächlich von der Farbe, aber so ganz bekommt man es auch mit Internet nicht heraus).

Zwei Wochen nach unserem Ausflug in den Torres del Paine schreibt uns Beata, sie hat nun auch die funkfreie Zone verlassen. Wir tauschen uns aus, schicken Bilder, freuen uns über den neuen Kontakt, laden uns gegenseitig ein nach Kanada und Deutschland. Wie gut, dass wir uns nicht aufs Handy starrend verpasst haben. Und wie gut, dass wir jetzt in Kontakt bleiben können, 8.000 Kilometer und ein paar Zehntel Sekunden voneinander entfernt.

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